Eben noch Vollgas im Klassenzimmer und nun das: Schuljahr vorbei. Zumindest bald. Langsam mischt sich Sentimentalität in den Alltag von ZuBaKa-Trainee Natalie Czaban. Und Erinnerungen an "damals" kommen auf, als sie ihren Schüler*innen im September des letzten Jahres das erste Mal gegenüber stand. Das Besondere: Zu diesem Zeitpunkt konnten sie nicht nur eher wenig, sondern eigentlich noch GAR kein Deutsch.
Challenge accepted
Spulen wir noch ein bisschen weiter zurück, zum Kennenlerngespräch zwischen Natalie und Anna Anslinger, der Leiterin des ZuBaKa-Büros in Mannheim. Dort war auch die Trainee-Stelle ausgeschrieben, auf die Natalie sich beworben hatte. Ob sie sich das zutrauen würde, hatte Anna sie gefragt: zwei Klassen zu betreuen, in denen sich überwiegend Sprachanfänger*innen befinden. Teils in der Heimatsprache alphabetisiert, teils noch gar nicht. Einige wenige können Englisch, jedenfalls ein bisschen. Woraufhin andere vielleicht eher geschluckt hätten, war Natalies Neugier gepackt. "Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe das damals gar nicht als Hürde gesehen, sondern fand es eher interessant", erinnert sie sich. "Irgendwie dachte ich, dass das gut zu mir passen könnte."
... Sie sollte Recht behalten! Doch ihre eigene Lernkurve war vermutlich so steil wie die der deutschlernenden Schüler*innen, die zu Beginn des gemeinsamen ZuBaKa-Abenteuers tatsächlich maximal die "Ich heiße ..."-Basics beherrschten. "Da habe ich schnell gelernt, dass ich mich mit Händen und Füßen verständigen muss", lacht Natalie und erinnert sich daran, wie sie zunächst ihre Scheu ablegen musste, als sie ihre gesprochenen Worte mit wilden und extravaganten Gesten zu unterstreichen begann. "Nach zwei Wochen hatte ich aber eingesehen: Das geht nicht anders. Dann habe ich eben selbst vorgemacht, wie das Tier springt und klingt, von dem ich rede."
Imperativ? Lieber nicht!
Weitere methodische und pädagogische Kniffe hat sie sich von der Klassenlehrerin abgeschaut, mit der sie eine der beiden Klassen lange Zeit im Team-Teaching betreute. Zum Beispiel, dass Sätze so kurz wie möglich zu sein haben - im Idealfall nur mit einem einzigen Verb – und dass man am besten komplett auf Aufforderungssätze verzichtet. So wird aus dem Imperativ "Setzt euch hin!" beispielsweise ein einfaches "Ich sitze.", dessen ausführende Handlung Natalie den Schüler*innen auch praktisch demonstriert und die das Ganze dann im Kopf auf "ich" – also sich selbst – beziehen und nachmachen. Ah!
Spielend lernen - aber wie?
Eine Lehrmethode zur Alphabetisierung, deren Wirkung Natalie vor allem bei jüngeren Schüler*innen mit Faszination beobachtet, sind Wortlegespiele: große und gut greifbare Holzbuchstaben, die scheinbar bunt durcheinandergewürfelt in der Mitte eines Stuhlkreises liegen - etwa ein U, ein A, ein S und ein H. Jetzt sollen die kleinen Kinderköpfe ins Grübeln kommen und überlegen: Welches Wort könnten sie daraus bilden? Also werden die einzelnen Buchstaben so lange in verschiedenen Kombinationen aneinander gelegt, bis sie ein Wort ergeben, das die Kinder erkennen: H - A - U - S. Geschafft! Doch hier ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Denn plötzlich legt die Lehrkraft das Holz-H zur Seite... und nach kurzer Überlegung verstehen die Kinder: Da steht ja auf einmal ein ganz neues Wort! Mind. Blown.
Die älteren Schüler*innen, mit denen Natalie zusammenarbeitet, fahren derweil total auf Memory ab. Hier sollen sie jedoch nicht einfach nur Bildpaare finden, sondern dazu auch das deutsche Wort aufsagen. Für Fortgeschrittene sogar mit dazugehörigem Artikel. Die einzelnen Memory-Sets, die Natalie zum Teil selbst angefertigt hat, sind dabei bestimmten Oberthemen zugeordnet. Auf diese Weise vergrößert sich der Wortschatz zu Themen wie Körperteilen, Essen oder dem Wetter ganz von selbst.
Überhaupt stecken spielerische Methoden voller ungeahnter Möglichkeiten zum Sprachenlernen. Beim Basteln können zum Beispiel auf ganz natürliche Weise Farben gelernt werden ("Ich nehme den blauen Stift") oder auch Präpositionen ("... und lege ihn neben das Blatt."). "Wenn ein Kind dann zum roten statt zum blauen Stift greift und ich die Anweisung wiederhole, weiß es, dass das wohl nicht blau gewesen ist und probiert eine andere Farbe – so lange, bis es dann richtig ist."
Dass die deutsche Sprache – trotz aller Behutsamkeit der vermittelnden Lehrkräfte – voller Hürden steckt, hat Natalie immer wieder selbst erfahren. "Das war zum Teil echt augenöffnend", gibt sie zu. Dass es zum Beispiel unzählige Varianten gibt, eine Uhrzeit anzugeben – sowohl gesprochen als auch schriftlich. Oder dass "Flur" und "Korridor" zwar den gleichen Ort beschreiben, aber zwei komplett unterschiedliche Vokabeln sind. Genauso wie "Möhre" und "Karotte". Wie verwirrend das sein muss!
Von null auf Storytelling
"Die Lernfortschritte waren aber wirklich beeindruckend", sagt Natalie voller Bewunderung für die Leistungen der Sprachanfänger*innen. "Das hätte ich bei einer Klasse, die schon besser Deutsch spricht, niemals in diesem Tempo beobachten können." Besonders gefreut hat es sie, als sie sah, dass mit dem wachsenden Sprachvermögen auch die Persönlichkeiten der Schüler*innen Ausdruck finden konnten. "Eine Schülerin hat mir zum Beispiel mal ganz aufgeregt erzählt, dass ihr zwei Milchzähne ausgefallen sind. Das war ein wichtiges Ereignis für sie, das sie mitteilen wollte! Und ein anderer Schüler hatte einmal selbständig im Wörterbuch nachgeschlagen, was "Weintraube" heißt, weil er mir unbedingt erzählen wollte, was er am Tag zuvor gekocht hat. Darauf war er richtig stolz und es war so schön zu sehen, dass er das auch ausdrücken konnte." Doch selbst scheinbar kleine Fortschritte können eine gigantische Bedeutung haben. Wie bei der Grundschülerin, die nie – wirklich nie – laut gesprochen hat. Wenn überhaupt, nur schüchtern geflüstert. Doch das eine Mal, als sie vor Natalie laut, deutlich und fehlerfrei bis sechs gezählt hat... Unvergesslich!
Wenn Natalie von dem zurückliegenden Schuljahr erzählt, steckt jeder Satz voller Hochachtung für die deutschlernenden Schüler*innen. Mit ihrem Bachelor in Germanistik und Anglistik sowie ihrem Master in Sprache und Kommunikationswissenschaften hatte Natalie schon viel Theoretisches über Sprachenlernen gehört. "Aber das in der Praxis zu sehen, war wirklich der Wahnsinn".
Danke für deinen leidenschaftlichen Einsatz, Natalie! Wir sind uns sicher, du hast die Schüler*innen nicht nur sprachlich bereichert. Für die Zukunft wünschen wir den Kindern und Jugendlichen – und natürlich auch dir – nur das Allerbeste!
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